Wie auch Robertson Smith zeichnete sich sein ein Jahr jüngerer Bruder
George durch eine hohe Intelligenz und früh erwachenden Wissensdurst
aus. Beide Brüder wie auch die ältere und gleichermassen begabte
Schwester Mary Jane, hatten das Glück, dass ihre Eltern nicht nur
begeisterte sondern auch sehr fähige Lehrer waren. Wissbegierde und
Diskussionsfreude trafen also auf willige Gegenparts. So wurden nicht
nur theologische Fragen und Bibelwissen sondern auch viele Themen mit
grossem Eifer erörtert, die zu dieser Zeit die Welt bewegten,
einschliesslich naturwissenschaftlicher oder philosophischer Fragen.
Selbst Darwins Theorien über den Ursprung der Arten waren kein Tabu.
Da die Kinder wie auch der Vater ausserordentlich sprachbegabt waren,
übten sie sich schon früh in den alten Sprachen; und so konnten sich
die Söhne bereits im Alter von 13 bzw. 15 Jahren für die
Aufnahmeprüfungen der Aberdeener Universität und entsprechende
Beihilfen bewerben. Beide gewannen die höchstdotierten Stipendien, und
so zogen sie 1861 zur Aufnahme des Studiums zusammen mit den beiden
ältesten Schwestern Mary Jane und Isabella nach Aberdeen. Die Mädchen
sollten in der Stadt die Schule besuchen und den Haushalt führen.
Die folgenden Jahre am Aberdeener King’s College brachten eine Reihe
von Erfolgen und Auszeichnungen. Die beiden Jungen wurden nur von
einer immer wiederkehrenden Lungenkrankheit in ihrem Lerneifer
gebremst, der damals in Europa grassierenden Tuberkulose. Robertson
Smith wurden die Prüfungen 1865 entgegen der Prüfungsordnung am
Krankenbett abgenommen. Da er aber fraglos der beste Student seines
Jahrgangs war – als dieser hatte er die Town Council medal
erhalten – wurde das Examen anerkannt. Er hatte alle Auszeichnungen
erhalten, die Stadt und die Universität zu vergeben hatten, und er
hätte an jeder britischen Universität studieren können.
George erkrankte 1864 so schwer, dass an einen Transport nach Hause
nicht gedacht werden konnte. Seine Schwester Mary Jane pflegte ihn
gesund, infizierte sich dabei aber selbst und starb kurz darauf.
George konnte 1865 sein Studium fortsetzen, bestand 1866 alle Examen
mit höchsten Auszeichnungen, jedoch erlag er drei Wochen später der
besiegt geglaubten Krankheit.
Es ist in diesem Zusammenhang auch bezeichnend, dass Robertson Smith
dafür sorgte, dass alle seine Schwestern eine sorgfältige Erziehung
über den für sie etwas beschränkteren häuslichen Unterricht hinaus
erhielten. Seine Schwestern Ellen (Nellie) und Alice verbrachten
während seines Studiums längere Zeit mit ihm und besuchten
währenddessen Schulen und Privatunterricht in Edinburgh. Nellie
verbrachte auf Robertson Smiths Initiative hin mehr als ein Jahr in
Göttingen, um Unterricht in Sprachen, Zeichnen und Musik zu erhalten.
Alice und die jüngere Schwester Lucy durften auf Fürsprache des
älteren Bruders ebenfalls einige Monate in Deutschland verbringen.
Ein Jahr älter als Robertson Smith war sein Mitstudent John
Sutherland Black (1846-1923), selbst Sohn eines Free Church Pfarrers
und ebenfalls Student der Theologie, der sein bester, vertrautester
und lebenslanger Freund werden sollte. Die beiden Männer verband eine
fast innige Beziehung, und J. S. Black sollte einmal zusammen mit
George Chrystal des Freundes Biograph werden. Doch es wären noch viele
andere zu nennen, denen Robertson Smith lebenslang in Freundschaft
verbunden war. Thomas M. Lindsay, später Professor für
Kirchengeschichte in Glasgow, war wie auch Archibald McDonald einer
von ihnen, den Robertson Smith schon seit Aberdeener Studententagen
kannte.
Im Sommer 1867 unternahm Robertson Smith seine erste Reise nach
Deutschland. Er traf in Bonn Carl Schaarschmidt, Professor für
Philosophie, dessen Gast er während seines Aufenthaltes war. In Bonn
hörte er Adolf Kamphausen (Alttestamentler), Schaarschmidt
(Philosophie) und andere. Die historische Bibelkritik, die damals an
deutschen Universitäten bereits fast unumstritten Gegenstand von
Forschung und Lehre war, beeinflusste Robertson Smiths Denken von da
an entscheidend.
Auf dieser und folgenden Deutschlandreisen knüpfte er eine Vielzahl
von Kontakten die er lebenslänglich pflegte, und gewann viele Freunde.
Der Mathematiker Felix Klein war einer von ihnen. Die deutsche Sprache
zu erlernen fiel Robertson Smith leicht und die deutsche Lebensart
muss ihm vorwiegend zugesagt haben.
Sein Vater, William Pirie Smith, schloss sich ihm auf dieser ersten
Reise für einige Wochen an. Beide verweilten einige Tage in Bonn bei
den Schaarschmidts, fuhren den Rhein hinauf, besuchten Heidelberg und
genossen die vielen neuen und alten Bekanntschaften. Für den alten
Herrn muss dies eine ganz ausserordentliche Erfahrung gewesen sein.
Eine weitere Reise nach Deutschland unternahm Robertson Smith im Jahr
1869 zusammen mit seinem Freund J. S. Black. Sie studierten in
Göttingen, hörten u. a. Albrecht Ritschl (Theologie) und Hermann Lotze
(Philosophie), die beide grossen Einfluss auf das Denken der jungen
Studenten gewinnen sollten. Nebenbei genossen sie auch das
Studentenleben in Deutschland weidlich. Der junge Julius Wellhausen,
später ein bedeutender Orientalist, kritischer Bibelforscher und
Exeget, wurde während dieser Zeit ein enger Freund.