Kindheit, erster Unterricht und Studium

William Robertson Smith, 1854, FP

Robertson Smith war ein frühreifes Kind und von äusserst zarter Gesundheit. Die Eltern mussten oft um sein Leben fürchten und behielten ihn daher häufig nachts in ihrem Schlafraum, um ihn überwachen zu können.

Wie auch Robertson Smith zeichnete sich sein ein Jahr jüngerer Bruder George durch eine hohe Intelligenz und früh erwachenden Wissensdurst aus. Beide Brüder wie auch die ältere und gleichermassen begabte Schwester Mary Jane, hatten das Glück, dass ihre Eltern nicht nur begeisterte sondern auch sehr fähige Lehrer waren. Wissbegierde und Diskussionsfreude trafen also auf willige Gegenparts. So wurden nicht nur theologische Fragen und Bibelwissen sondern auch viele Themen mit grossem Eifer erörtert, die zu dieser Zeit die Welt bewegten, einschliesslich naturwissenschaftlicher oder philosophischer Fragen. Selbst Darwins Theorien über den Ursprung der Arten waren kein Tabu. Da die Kinder wie auch der Vater ausserordentlich sprachbegabt waren, übten sie sich schon früh in den alten Sprachen; und so konnten sich die Söhne bereits im Alter von 13 bzw. 15 Jahren für die Aufnahmeprüfungen der Aberdeener Universität und entsprechende Beihilfen bewerben. Beide gewannen die höchstdotierten Stipendien, und so zogen sie 1861 zur Aufnahme des Studiums zusammen mit den beiden ältesten Schwestern Mary Jane und Isabella nach Aberdeen. Die Mädchen sollten in der Stadt die Schule besuchen und den Haushalt führen.

George Michie Smith, FP

Mary Jane Smith, FP

Isabella Giles Smith, FP

Aufbruch nach Aberdeen, 1861, FP

King’s College Aberdeen, 1850s, JFW

Die folgenden Jahre am Aberdeener King’s College brachten eine Reihe von Erfolgen und Auszeichnungen. Die beiden Jungen wurden nur von einer immer wiederkehrenden Lungenkrankheit in ihrem Lerneifer gebremst, der damals in Europa grassierenden Tuberkulose. Robertson Smith wurden die Prüfungen 1865 entgegen der Prüfungsordnung am Krankenbett abgenommen. Da er aber fraglos der beste Student seines Jahrgangs war – als dieser hatte er die Town Council medal erhalten – wurde das Examen anerkannt. Er hatte alle Auszeichnungen erhalten, die Stadt und die Universität zu vergeben hatten, und er hätte an jeder britischen Universität studieren können.

George erkrankte 1864 so schwer, dass an einen Transport nach Hause nicht gedacht werden konnte. Seine Schwester Mary Jane pflegte ihn gesund, infizierte sich dabei aber selbst und starb kurz darauf. George konnte 1865 sein Studium fortsetzen, bestand 1866 alle Examen mit höchsten Auszeichnungen, jedoch erlag er drei Wochen später der besiegt geglaubten Krankheit.

Im Herbst 1866 schrieb sich der neunzehnjährige Robertson Smith am Edinburgher Free Church College ein. Trotz seiner beachtlichen naturwissenschaftlichen Begabung war er fest entschlossen, der Free Church als Pfarrer zu dienen. Dennoch belegte er neben seinen theologischen Studien auch Physik an der Edinburgh Universität und wurde dort Assistent von Professor Peter Guthrie Tait, zu dessen Studenten beispielsweise auch Robert Louis Stevenson zählte. Letzterer zeichnete sich allerdings durch keinen grossen Hang zu den Naturwissenschaften aus. Während der nächsten vier Jahre begann Robertson Smith, wissenschaftliche Aufsätze zu theologischen aber auch zu naturwissenschaftlichen Themen zu veröffentlichen. Bemerkenswert ist nebenbei, dass Robertson Smith auch Ladies Classes unterrichtete. Die weiblichen Studenten durften damals zwar bereits Vorlesungen besuchen und Prüfungen ablegen, jedoch noch nicht graduieren. In einer Beurteilung stellte Robertson Smith bezüglich der weiblichen Studenten fest, dass die besten unter ihnen durchaus den besten männlichen Studenten vergleichbare Leistungen erbrachten, jedoch zögerten auf ihrem Standpunkt zu beharren, auch wenn sie ein Gegenargument als nonsense erkannten.

Free Church College Edinburgh, Playfairs Plan, NCE

Es ist in diesem Zusammenhang auch bezeichnend, dass Robertson Smith dafür sorgte, dass alle seine Schwestern eine sorgfältige Erziehung über den für sie etwas beschränkteren häuslichen Unterricht hinaus erhielten. Seine Schwestern Ellen (Nellie) und Alice verbrachten während seines Studiums längere Zeit mit ihm und besuchten währenddessen Schulen und Privatunterricht in Edinburgh. Nellie verbrachte auf Robertson Smiths Initiative hin mehr als ein Jahr in Göttingen, um Unterricht in Sprachen, Zeichnen und Musik zu erhalten. Alice und die jüngere Schwester Lucy durften auf Fürsprache des älteren Bruders ebenfalls einige Monate in Deutschland verbringen.

Ellen Deans Smith, FP

Alice Smith ca. 1865, FP

Lucy Smith 1877, FP

Ein Jahr älter als Robertson Smith war sein Mitstudent John Sutherland Black (1846-1923), selbst Sohn eines Free Church Pfarrers und ebenfalls Student der Theologie, der sein bester, vertrautester und lebenslanger Freund werden sollte. Die beiden Männer verband eine fast innige Beziehung, und J. S. Black sollte einmal zusammen mit George Chrystal des Freundes Biograph werden. Doch es wären noch viele andere zu nennen, denen Robertson Smith lebenslang in Freundschaft verbunden war. Thomas M. Lindsay, später Professor für Kirchengeschichte in Glasgow, war wie auch Archibald McDonald einer von ihnen, den Robertson Smith schon seit Aberdeener Studententagen kannte.

Im Sommer 1867 unternahm Robertson Smith seine erste Reise nach Deutschland. Er traf in Bonn Carl Schaarschmidt, Professor für Philosophie, dessen Gast er während seines Aufenthaltes war. In Bonn hörte er Adolf Kamphausen (Alttestamentler), Schaarschmidt (Philosophie) und andere. Die historische Bibelkritik, die damals an deutschen Universitäten bereits fast unumstritten Gegenstand von Forschung und Lehre war, beeinflusste Robertson Smiths Denken von da an entscheidend.

Auf dieser und folgenden Deutschlandreisen knüpfte er eine Vielzahl von Kontakten die er lebenslänglich pflegte, und gewann viele Freunde. Der Mathematiker Felix Klein war einer von ihnen. Die deutsche Sprache zu erlernen fiel Robertson Smith leicht und die deutsche Lebensart muss ihm vorwiegend zugesagt haben.

Sein Vater, William Pirie Smith, schloss sich ihm auf dieser ersten Reise für einige Wochen an. Beide verweilten einige Tage in Bonn bei den Schaarschmidts, fuhren den Rhein hinauf, besuchten Heidelberg und genossen die vielen neuen und alten Bekanntschaften. Für den alten Herrn muss dies eine ganz ausserordentliche Erfahrung gewesen sein. Eine weitere Reise nach Deutschland unternahm Robertson Smith im Jahr 1869 zusammen mit seinem Freund J. S. Black. Sie studierten in Göttingen, hörten u. a. Albrecht Ritschl (Theologie) und Hermann Lotze (Philosophie), die beide grossen Einfluss auf das Denken der jungen Studenten gewinnen sollten. Nebenbei genossen sie auch das Studentenleben in Deutschland weidlich. Der junge Julius Wellhausen, später ein bedeutender Orientalist, kritischer Bibelforscher und Exeget, wurde während dieser Zeit ein enger Freund.