Angeworben von Baynes als Mitherausgeber der Encyclopaedia
          Britannica (der sogenannten wissenschaftlichen Edition)
          verliess Robertson Smith Aberdeen und liess sich im Sommer 1881 mit
          seinen jüngsten Bruder Herbert in Edinburgh nieder. Die Aufgabe war
          wie für ihn geschaffen und sehr zufriedenstellend, doch weitere
          Anforderungen sollten im Laufe der nächsten Jahre noch auf ihn
          zukommen.
        
       
      
        Robertson Smiths Aufenthalt in Schottland sollte nicht mehr von
          langer Dauer sein. Als 1882 Professor Palmer, Dozent für Arabisch an
          der Universität Cambridge, in Palästina ermordet wurde, drängte ihn
          William Wright, Professor für Arabisch in Cambridge, und damals schon
          ein enger Vertrauter, sich für die Professur zu bewerben. Eine
          ähnliche Kampagne wie bereits 1869/70 hatte erneut Erfolg, so dass man
          Robertson Smith ab 1883 in Cambridge sah. Er bezog Räume im Trinity
          College und ab 1885 war er schliesslich Mitglied des Lehrkörpers des
          Christ’s College.
        
        Die Redaktionstätigkeit für die EB9, die eine immense Korrespondenz
          mit sich brachte, setzte er von Cambridge aus fort. Wissenschaftler
          der ganzen Welt wurden um Beiträge gebeten und Robertson Smith selbst
          schrieb unzählige Artikel, sowohl unter seinem Namen als auch
          unsigniert. Er konnte mit Fug und Recht behaupten, als einziger die
          ganze EB9 gelesen zu haben. Nach Baynes Tod 1887 wurde Robertson
          Smith, unterstützt von seinem Freund J. S. Black,
          alleinverantwortlicher Herausgeber. 1888 war der letzte der 25 Bände
          vollendet, und aus diesem Anlass wurde ein grosses Bankett im Christ’s
          College veranstaltet.
        
        Robertson Smiths Hauptinteresse galt von nun an fast ausschliesslich
          der vergleichenden Religionswissenschaft. Daraus ergab sich auch sein
          Interesse für Anthropologie, Ethnologie, Soziologie und Psychologie.
          Seine Veröffentlichungen und seine ausgedehnte Korrespondenz mit
          Bibelforschern, Arabisten und Orientalisten geben ausführlich Zeugnis
          davon. Wegweisend waren seine Forschungen über Ritus und Mythus,
          Totemismus und Tabuismus, Opferung und die damit verbundene
          Auferstehung: das heisst mit der gesamten Entwicklung vom primitiven
          Animismus bis zur „aufgeklärten“ Religion des 19. Jahrhunderts. Er sah
          die Funktion der Religion als einen Weg, die Bindung innerhalb einer
          Gruppe zu stärken und ein störungsfreies Zusammenleben zu ermöglichen.
          So wurden nach seiner Auffassung bestehende Rituale zwingend durch die
          spätere Schaffung erklärender Mythen, während Opfer und
          Opfermahlzeiten den Bund zwischen den Menschen untereinander und ihrem
          Gott bestärkten.
        
        1885 erschien nach einer Vorlesungsreihe Kinship and Marriage in
          Early Arabia, (zweite Auflage 1903, letzte Auflage 1990), die sich
          mit den patriarchalischen Stammesverhältnissen der arabischen Welt vor
          Mohammed befasste. Robertson Smiths enge Freundschaft mit William
          Wright und James George Frazer war einträglich für alle Beteiligten.
          Wright, der Orientalist, der die Dialekte der arabischen Sprache wie
          kein anderer Brite beherrschte, und der von Robertson Smith ermutigte
          Frazer, der Mythen und Aufzeichnungen religiöser Bräuche der ganzen
          Welt sammelte, um zu dem Schluss zu gelangen, dass alle Religionen
          ähnliche Entwicklungsstufen durchliefen, ähnliche Bräuche pflegten,
          und dabei alle mit ähnlichen mythologischen Begründungen.
        
       
      
        Der April 1887 brachte Robertson Smith eine Einladung der
          Burnett-Stiftung, eine Reihe öffentlicher Vorlesungen über
          semitische Religionen in Aberdeen zu halten. Die erste der drei
          Serien wurde zu einem sehr grossen Erfolg, und 1889 unter dem Titel
          The Religion of the Semites, First Series: The Fundamental
          Institutions (mehrere Auflagen bis in die heutige Zeit, 1899 ins
          Deutsche übersetzt) veröffentlicht. Dies sollte eines der Klassiker
          über vergleichende Religionswissenschaft, Ethnologie und Anthropologie
          werden. Viele spätere Wissenschaftler wurden durch Robertson Smiths
          Studien angeregt und verfolgten sie weiter, darunter Sigmund Freud und
          Emile Durkheim.
        
        Robertson Smith hielt wie geplant auch die zweite und dritte Serie
          der Vorlesungen, jedoch verhinderte seine nachlassende Gesundheit
          deren Drucklegung. Basierend auf seinen Aufzeichnungen wurde 1995 von
          John Day ein kleiner Band herausgegeben: Lectures on the Religion
          of the Semites, Second and Third Series, ed. John Day, (Oxford
          University Press).